KIRCHE HILFT IN DER NOT

Jürgen Jahncke

In den Jahren 1946 bis 1950 entwickelte die Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde in Kühlungsborn ein reges Leben. Die von ihr entfaltete Nachbarschaftshilfe wirkte sich besonders positiv auf den Zusammenhalt der Gemeinde aus.

Die Pastorenfamilie Drefers beheizte ihr großes Wohnzimmer und öffnete es für alle Bedürftigen, die Schutz und Wärme suchten. Sie organisierte 1946 ihre ersten beiden Altennachmittage zur Linderung der Hungersnot. Es gab Erbseneintopf, Kuchen und Kaffee.

In der Kirche und im Gemeindehaus stellte Pastor Drefers den „Korb der Barmherzigkeit“ zur Entgegennahme von Natural-, Kleidungs- und Geldspenden auf. In der Adventszeit wurde der Korb zum „Adventskorb“ umfunktioniert. Die Spenden der Gemeindeglieder kamen Alten, Einsamen und Kranken unabhängig von ihrer Konfession zugute.

In der Stillen Woche startete der Pastor einen zusätzlichen Mittagstisch für bedürftige Kinder bei Bauern und Büdnern. Die Kinder benannte der Schularzt. So konnten insgesamt 90 Mädchen und Jungen zweimal wöchentlich ein zusätzliches Mittagsessen erhalten.

Die Kirchgemeinde betreute selbstlos die 14 blinden Männer und Frauen im Ostseebad. Mitglieder der drei Frauenkreise der Gemeinde richteten einen Besuchsdienst in den Altersheimen ein. Sie ließen sich von dem Motto „Für jeden Bettlägerigen eine Helferin“ leiten.

Zwei Speisungen, einmal für 100 Kinder über 48 Tage, ein zweites Mal für 50 ebenfalls bedürftige Kinder über 100 Tage, organisierte die Kirchgemeinde genauso wie eine Speisung von 70 alten bedürftigen Menschen über 25 Tage lang. Das Essen spendete das Hilfswerk der evangelischen Kirche.

Frauen bildeten einen Nähkreis und richteten gleichfalls eine Nähstube ein. Sie sammelten in der Gemeinde alte, gebrauchte Kleidung, um daraus Neues für Bedürftige zu schneidern. Unentgeltlich fertigten sie für jene, die keine Nähmaschine besaßen, die erbetenen Kleidungsstücke an. Um die Auslagen und Unkosten hierfür zu decken, strickten und bastelten die Frauen in ihrer Freizeit verschiedene Gebrauchsgegenstände, die sie auf Basaren verkauften.

Am 20. Dezember 1948 lud die Kirchgemeinde 20 an Tuberkulose erkrankte Kriegsheimkehrer aus dem Krankenhaus zu einer Weihnachtsfeier ins Diakonissenheim ein. Gäste waren Dr. Hoffmann, Ärztlicher Direktor des Krankenhauses, Oberschwester Martha Kosch, zwei weitere Krankenschwestern und Frauen der Gemeinde. Wöchentlich einmal wurde im Krankenhaus „Iduna“ eine Bibelstunde durchgeführt. Zweimal jährlich reichte Pastor Drefers hier zur Passions- und Adventszeit das Heilige Abendmahl. Im Krankenhaus führte er bis zum staatlichen Verbot 1952 regelmäßig eine monatliche Andacht durch.

In den drei Kinderheimen „Lindenhof“, „Jacobi“ und „Rafoth“ fanden bis zum Verbot 1953 einmal in der Woche Kindergottesdienste statt. Das ehemalige Kindererholungsheim „Lindenhof“ wurde durch aktive Mitwirkung von Pastor Drefers zum Kinderheim für Waisen umfunktioniert, von der Inneren Mission der evangelisch-lutherischen Kirche übernommen und geführt. Hier konnten 24 elternlose Kinder aufgenommen werden.

Pastor Drefers führt in seiner Chronik aus, dass die Kirchgemeinde mit ihren Aktivitäten ungeteilte Anerkennung der Bevölkerung fand. Das hatte in den ersten Nachkriegsjahren zur Folge, dass sowohl Stadtverwaltung als auch politische Organisationen und Parteien betont Wert auf ein gutes Einvernehmen mit der Kirchgemeinde legten. Wörtlich heißt es bei Pastor Drefers: „So z. B. geschah es – was wohl einmalig sein dürfte – dass beim Wechsel eines Bürgermeisters oder Pionierleiters der Neue wie ‚selbstverständlich‘ seinen Antrittsbesuch beim Pastor machte oder dass die politischen Organisationen es nicht wagten, ihre Veranstaltungen zum Zeitpunkt von Gemeindeveranstaltungen zu legen.“

Wenn Sie noch mehr über die Geschichte „800 Jahre Kirche in Kühlungsborn“ erfahren möchten, können Sie hier das ausführliche Kompendium im eReader anschauen oder als PDF herunterladen.